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Zeit des Übergangs

Frankfurt am Main, Mai 2019 

Am Samstag, 11.05.2019 haben Herr Brandt (1.Vorsitzender HPP Deutschland e.V.) und Frau Semmler-Müller an einem Seminar des Kindernetzwerks teilgenommen. Das Hauptthema umfasste den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit in der Selbsthilfe. Während des Seminars ist eine wertvolles Redaktionsnetzwerk entstanden, welches in regelmäßigen Abständen Artikel veröffentlichen wird. Die beteiligten Selbsthilfevereine können dem angeschlossenen Abbinder entnommen werden. Wir freuen uns darauf. Das Team Hypophosphatasie Deutschland e.V. 


Zeit des Übergangs von Gerald Brandt 

Erwachsenwerden ist nicht immer leicht. Auf dem Weg durch die Teenagerjahre warten viele Hindernisse und Konflikte. Das gilt besonders für Kinder und Jugendliche mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung. Hormonelle Veränderungen, Probleme in Schule und Peer Group, die Abnabelung vom Elternhaus, erste Beziehungen, Ausbildung, Studium, Jobsuche – die Liste an Konfliktpotenzialen ist lang. Vor allem für Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen. In der Medizin nennt man den Übergang von kinderärztlicher zu fachärztlicher Betreuung „Transition“.

Dieser Übergang ist gekennzeichent von den unterschiedlichen Herangehensweisen im Kindes- und Erwachsenenalter, bzw. von den unterschiedlichen Bedürfnissen der Betroffenen. Geht es während der Kindheit hauptsächlich darum, eine optimale körperliche, geistige und emotionale Entwicklung – hin zu einem bestmöglichen Zustand – von außen zur Verfügung zu stellen, stehen im Erwachsenenalter andere Aspekte im Vordergrund. Hier geht es vor allem um die langfristige Erhaltung des erreichten Gesundheitszustandes und eines möglichst hohen Maßes an Unabhängigkeit. Dabei verändern sich nicht nur die äußeren Lebensumstände, sondern auch die beteiligten Partner und deren Rollen.

Kinder mit chronischen Erkrankungen werden heute schon von klein auf engmaschig medizinisch betreut. Dabei gilt das Prinzip, das Kinderärztinnen und –ärzte quasi als „Fallmanager“ agieren und bei Bedarf weitere SpezialistInnen hinzuziehen. Bei komplexen Erkrankungen oder Behinderungen ist eine multi-disziplinäre Versorgung sinnvoll, an der neben verschiedenen medizinischen Fachbereichen auch ein sozial-pädiatrisches Zentrum beteiligt ist. Koordiniert wird dieses Netzwerk von der Kinder- und Jugendmedizin und ist es erst einmal aufgebaut, funktioniert es in der Regel über viele Jahre problemlos. Das ändert sich jedoch, sobald die Patienten volljährig werden und die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendmedizin endet. Dann muss rechtzeitig der Übergang in eine fachärztliche Betreuung vorbereitet werden. Die DRK Kliniken Berlin haben dazu beispielhaft ein Konzept entwickelt, das aus mehreren Elementen besteht. 

  1. Ein Fallmanagement auf kinderärztlicher Seite, das sich um den gesamten organisatorischen Ablauf der Transition kümmert
  2. Transitionsgespräche mit den beteiligten Familien vor, während und nach Abschluss der Übergangsphase
  3. Die Erstellung einer so genannten „Epikrise“, also einer zusammenfassenden medizinischen Gesamtübersicht über den/die jeweiligen Patienten/in
  4. Eine gemeinsame Sprechstunde mit Familie, den bisherigen Kinderärzten, den neuen Fachärzten und weiterer Partner
  5. Und: weitere anschließende Fallkonferenzen, bei denen künftige Versorgungs- und Behandlungskonzepte gemeinsam erarbeitet werden

https://www.drk-kliniken-berlin.de/berliner-transitionsprogramm

Die Vorteile eines koordinierten Übergangs sind so offensichtlich, dass sich inzwischen sogar ein eigener Fachbereich der „Transitionsmedizin“ herausgebildet hat, nicht zuletzt repräsentiert durch die „Deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin e.V." in Hannover (https://transitionsmedizin.net/). Und auch die Krankenkassen zeigen sich kooperationsbereit – hilft ein geordneter Übergang doch auch dabei, mögliche Fehlbehandlungen zu vermeiden. Aber natürlich gibt es auch einige Grundvoraussetzungen, ohne die eine erfolgreiche Transition nicht möglich ist. Zum einen bedarf es eines bereits bestehenden Netzwerks aus KinderärztInnen, FachärztInnen, PädagogInnen, PsychologInnen, Physio- und ErgotherapeutInnen etc. Ein solches multi-disziplinäres Team findet sich am ehesten in klinischen Fachzentren oder an Universitätskliniken. Zweitens sind niedergelassene Partner nötig, zum Beispiel Haus- oder Fachärzte, die bereit und in der Lage sind, das Fallmanagement zu übernehmen. Und schließlich kommt es auch auf die Mitarbeit der jungen PatientInnen und ihrer Familien an. Ein Punkt, der keineswegs zu vernachlässigen ist.Die Zeit des Erwachsenwerdens ist gekennzeichnet durch viele Übergänge und Veränderungen – innerhalb und außerhalb der Familie. Eine Zeit auch der Emanzipation und der Abnabelung vom Elternhaus. Viele Entscheidungen müssen nun selbst getroffen werden, auf die Jugendlichen kommen viele neue Verantwortungen zu. Ausbildung, Studium, Berufswahl, ein möglicher Umzug in die eigenen vier Wände. All das ist anstrengend und nimmt viele Ressourcen in Anspruch. Da kann es durchaus passieren, dass der Planung der eigenen medizinischen Versorgung nicht unbedingt höchste Priorität eingeräumt wird. Vor allem, weil dies voraussetzt, dass man sich mit seiner Erkrankung oder Behinderung als Teil der eigenen Identität auseinandersetzen muss. Und für viele Jugendliche, die bereits einen großen Teil ihres Lebens in Arztpraxen und Kliniken zugebracht haben, ist dies eine sehr belastende Situation. Speziell wenn ihre gesundheitliche Situation einigermaßen stabil ist, möchten sie oft erst einmal eine Weile gar nichts mehr mit dem Thema Krankheit oder Behinderung zu tun haben. Hier können sowohl die sozial-pädiatrischen Zentren als auch die Selbsthilfe aktive Unterstützung leisten. Viele Selbsthilfeorganisationen haben inzwischen eigene „Jugendabteilungen“ und sogar spezialisierte Transitions-Coaches. Auch der Dachverband Kindernetzwerk e.V. steht hier mit weiterführenden Informationen zur Verfügung (https://www.kindernetzwerk.de/de/aktiv/JungeSelbsthilfe/2019/20190128-Transitionsmedizin.php). Und schließlich fordert der Übergang ins Erwachsenenleben auch den Eltern eine Neuorientierung ab. Sie, die sich bislang aufopfernd um alle gesundheitlichen Belange ihres Nachwuchses gekümmert haben, müssen nun lernen loszulassen und ihren Kindern mehr Eigenverantwortung abzuverlangen – ihnen diese aber auch zuzutrauen. Um diesen Prozess zu erleichtern, sollten Kinder und Jugendliche bereits lange vor ihrem 18. Geburtstag aktiv in die Gestaltung ihrer medizinischen bzw. therapeutischen Betreuung eingebunden und maßgeblich an wichtigen Entscheidungsprozessen beteiligt werden.  Autor: Gerald Brandt, 1. Vorsitzender HPP Deutschland e.V. 

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Redaktionsnetzwerk

Bundesverband Herzkranke Kinder e.V. (BVHK) www.bvhk.de

Bundesverband für Menschen mit Arm- oder Beinamputation e.V. www.bmab.de

Bundesverband Williams-Beuren-Syndrom e.V. www.w-b-s.de

FASD Deutschland e. V. www.fasd-deutschland.de

Guttempler Hessen e. V. org.guttempler.de/home/lv/hessen

Hypophosphatasie Deutschland e.V. www.hpp-ev.de

Juvemus e. V. www.juvemus.de

Kindernetzwerk e.V. www.kindernetzwerk.de

Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen e.V. www.glandula-online.de

Noonan-Kids e. V. Deutschland noonan-kinder.de

 
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